Seit seiner zufälligen Entdeckung 1991 in den Ötztaler Alpen ist der Mann aus dem Eis eine Herausforderung für die Wissenschaft. Durch die Lagerung im Gletscher wurde Ötzi so perfekt konserviert, dass sein Körper selbst nach mehr als 5000 Jahren noch intensiv erforscht werden kann: Arthrose in den Sprunggelenken, verkalkte Blutgefäße, Karies und Parodontose sind keine Zivilisationskrankheiten. Auch Ötzi litt bereits darunter, genauso wie unter einer Lactoseintoleranz. In Kooperation mit dem Südtiroler Archäologiemuseum Bozen präsentiert die Archäologische Staatssammlung in München bis zum 31. August 2014 erstmalig in Deutschland die aktuellsten Forschungsergebnisse zum Mann aus dem Eis. Interaktive Module, Filme und Rekonstruktionen erschließen die neuesten Erkenntnisse und spüren dem „Mythos“ Ötzi nach. Eine Live-Webcam ist direkt mit der Kühlkammer im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen verbunden.
Geboren: zwischen 3350 und 3100 v. Chr., Vinschgau, Südtirol
Erschossen: im Alter von ca. 50 Jahren, Tatort Ötztaler Alpen
Größe: 1,60 m (jetzt 1,54 m), Gewicht: 50 kg (jetzt 13 kg)
Schuhgröße: 38, Augenfarbe: braun, Haarfarbe: braun
Blutgruppe: 0, tätowiert
Ötzi – eine Mumie zwischen Wissenschaft und Mythos
Seit seiner zufälligen Entdeckung am 19.09.1991 gegen 13.30 Uhr liefert „Ötzi“ zahlreichen natur- und geisteswissenschaftlichen Forschungsdisziplinen weltweit immer wieder neue Informationen. Nie zuvor war eine derart alte und gut konservierte gefrorene Mumie aus der Kupferzeit gefunden worden. Seit 1998 liegt sie bei minus 6 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent in einer Kühlkammer im Südtiroler Archäologiemuseum Bozen. Die Fundstelle ist heute Teil eines archäologischen Wanderweges und mit einer Steinpyramide auf 3210 m markiert.
Der Mann aus dem Eis gehört zu den ältesten und bekanntesten Mumien weltweit. Zudem handelt es sich um eine natürliche Mumie, da der Körper nicht durch menschliches Zutun konserviert wurde. Ötzi war – als er aus dem Leben gerissen wurde – vollständig mit einem Fellmantel und einer Bärenfellmütze, mit Leggings aus Schafsfell, Schuhen, einem Gürtel sowie einem Lendenschurz bekleidet. Seine Ausrüstung bestand aus mehreren Gegenständen: einem Kupferbeil, zwei Birkenrindengefäßen mit Glutresten und einer Rückentrage. Er führt einen noch unfertigen Bogen und Köcher samt Pfeilen bei sich sowie eine Gürteltasche, einen Dolch, diverse Kleingeräte, einen Zunderschwamm und Pilze mit antibiotischer Wirkung.
Seine Entdeckung am 19.09.1991
Das Ehepaar Erika und Helmut Simon aus Nürnberg entdeckte den Leichnam beim Abstieg zur Similaunhütte im Bereich des Tisenjochs auf 3210 m Meereshöhe und meldeten ihn dem Hüttenwirt. Dieser informierte die Gendarmerie von Sölden und den Carabinieri von Schnals. Später wurde die Leiche durch einfaches Freipickeln, mit Hilfe eines Pressluftmeißels und mit Haartrocknern geborgen, mit dem Hubschrauber im Bergesack abtransportiert und ins Institut für Ur- und Frühgeschichte nach Innsbruck gebracht. Dort wusch und brauste man ihn bei Zimmertemperatur ab. Erst zu diesem Zeitpunkt erkannte der Archäologe Konrad Spindler, dass es sich um einen prähistorischen Menschen handeln musste.
Ötzis Gesundheit: Gallensteine und Peitschenwürmer
Mit seinen ungefähr 50 Jahren gehörte er zu den ältesten Mitgliedern seiner Gemeinschaft. Seine Gelenke sind abgenutzt und seine Blutgefäße verkalkt. Überraschenderweise sind seine Zähne vollständig erhalten, aber von Karies befallen. Gallensteine weisen auf einen erhöhten Cholesterinspiegel hin, zudem ist ein Nasenbeinbruch festzustellen. Der Mann aus dem Eis litt unter Peitschenwürmern, wie Botaniker anhand der Eier dieses Parasiten, die im Darminhalt gefunden, wurden, feststellten. Die Untersuchung der Haare ergab einen höheren Arsengehalt: Möglicherweise hat er an der Verarbeitung von Erzen bzw. der Gewinnung von Kupfer teilgenommen. Zudem wurden Erreger für die Zeckenboreliose gefunden, und man hat festgestellt, dass er – wie auch rund zehn Prozent der Mitteleuropäer heute – laktoseintolerant war. Über 50 Tätowierungen, mittels kleiner Schnitte und hineingeriebener Holzkohle angefertigt, befinden sich offenbar an stark beanspruchten, schmerzenden Körperstellen. „Dabei kann es sich um Körperschmuck oder um eine akupunkturähnliche Anwendung im Sinne einer Schmerztherapie handeln“, sagt Dr. Andrea Lorentzen von der Archäologischen Staatssammlung München.
Ötzis Ernährung: Getreide und Steinbockfleisch
Wurde Ötzi bei der Jause von hinten mit einem Pfeilschuss ermordet, und was aß er in seinen letzten Stunden? Die Magenanalyse ergab Getreidekörner, Fleischfasern und einen hohen Fettanteil. Die letzte Mahlzeit vor seinem Tod dürfte Steinbockfleisch gewesen sein. Der gut gefüllte Magen lässt darauf schließen, dass sich der Mann aus dem Eis bei seiner ausgiebigen Rast am Hauslabjoch sehr sicher gefühlt haben muss. Sein kaum anverdauter Mageninhalt zum Todeszeitpunkt lässt jedoch vermuten, dass er kurz nach der Rast verstorben ist.
Ötzis Lebensraum: Etschtal und Vinschgau
Ötzi wurde zwar auf italienischem (Südtiroler) Staatsgebiet der autonomen Provinz Bozen im Passbereich zwischen Schnals- und Ötztal gefunden. „Fundort und Lebensbereich waren aber nicht identisch“, betont Angelika Fleckinger, Direktorin vom Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen. Man vermutet, dass Ötzi entweder auf der Flucht oder auf der Suche nach Nahrung oder Bodenschätzen war. Die Herkunft seines mitgenommenen Silexmaterials, die markante Form der Beilklinge, die verschiedenen Hölzer sowie die Hopfenbuchenpollen in seinem Verdauungstrakt, all diese Elemente weisen auf das Gebiet südlich des Alpenhauptkamms als das seiner Heimat hin. Untersuchungen der Isotopenzusammensetzung im Zahnschmelz und im Knochenmaterial liefern zudem weitere Informationen. Über die Nahrung nimmt der Mensch verschiedene Isotope (Varianten desselben chemischen Elements) auf, die im Körper gespeichert werden. Je nach Art des geologischen Untergrunds des Wohnortes kommt es zu unterschiedlichen Isotopenzusammensetzungen. Danach hat Ötzi seine frühe Kindheit wahrscheinlich im Eisacktal oder im Pustertal verbracht, das Erwachsenenalter zum Teil im Etschtal. Vor seinem Tod hat er anscheinend mindestens zehn Jahre im Vinschgau gelebt. Dortige archäologische Grabungen förderten auf dem Burghügel von Schloss Juval am Eingang des Schnalstals Reste einer spätneolithischen und bronzezeitlichen Siedlung zutage.
Ötzis Tod: Mord nach Mahlzeit
Eine Verletzung an der Hand und zahlreiche Abschürfungen und Prellungen zeugen von einem Nahkampf, der dem Tod offenbar unmittelbar vorausgegangen sein muss. Ein kürzlich entdecktes Schädel-Hirn-Trauma mit einer großen Blutung im hinteren Bereich des Gehirns und einer Fraktur des Schädelknochens lassen auf einen Sturz oder Angriff schließen. An der linken Rückenpartie entdeckte man eine kleine Hautwunde. Eine noch sichtbare Silexpfeilspitze hat beim Eindringen in den Körper ein ca. 2 cm großes Loch in das linke Schulterblatt gerissen und ist wenige Millimeter von der Lunge im Gewebe stecken geblieben. Lebenswichtige Organe wurden nicht getroffen, doch liegen im Bereich der Pfeilspitze Gefäßnervenbündel des linken Armes und ein großes Blutgefäß. Eine Verletzung desselben hatte wohl zu einer ausgedehnten Blutung und zu einer Lähmung des linken Armes geführt. Der Mann aus dem Eis wird möglicherweise kurz nach seiner Mahlzeit erschossen und innerhalb weniger Minuten verblutet sein. Als Todesursache nimmt man derzeit Mord an. Nichts von der Ausrüstung wurde gestohlen, nicht einmal das kostbare Kupferbeil. Die genauen Todesumstände werden wohl nie geklärt werden. Zum Zeitpunkt des Todes gibt es jedoch Anhaltspunkte: Im Darm der Mumie fand man Hopfenbuchenpollen, die nur südlich der Alpen und zwar im Juni blühen. Damit steht der Frühsommer als Todeszeitpunkt fest.
Von: Sonja Schön
Infos: www.archaeologie-bayern.de
Fotos: Südtiroler Archälogiemuseum Bozen, Archäologische Staatssammlung München.
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