Sogar Goethe hat es auf seiner italienischen Reise im Mai 1788 gesehen und davon geschwärmt: „… alle Glieder nehmen teil an jedem Ausdruck des Gefühls, der Leidenschaft, ja des Gedankens…“ Leonardos Komposition zeigt Jesus in der Mitte des Bildes zu Beginn der Eucharistie. Mit ausgebreiteten Armen deutet er auf Brot und Wein. Er ist Mittelpunkt und Ruhepol des Geschehens, während die Jünger durch seine Ankündigung in Unruhe und Aufregung geraten sind. Experten wie Arnold Bittlinger und Erich von Beckerath gehen davon aus, dass die zwölf Apostel, die um Jesus geschart sind, den Tierkreis darstellen. Sie sind in vier Dreiergruppen angeordnet, die den vier Jahreszeiten entsprechen und das Grundgesetz des Lebens zum Ausdruck bringen, nämlich Entstehen, Bestehen und Vergehen. Die Namen der einzelnen Jünger hat Francesco Melsi, der Schüler von Leonardo da Vinci, überliefert. Er hat in der Kirche in Ponte Capriasca bei Lugano eine Kopie des Leonardo-Abendmahls gemalt und unter jede einzelne Gestalt den Namen des betreffenden Jüngers geschrieben. Ganz rechts am Kopf des Tisches sitzt Simon, der sehr radikal war und die Römer mit Gewalt vertreiben wollte. Leonardo verlieh ihm deshalb die scharf geschnittenen Gesichtszüge eines Kriegers. Diese unterstehen dem Tierkreiszeichen des Widders und symbolisieren gleichzeitig den Kopf des Menschen. Gleich daneben ist Thaddäus, der „Patron der hoffnungslosen Fälle“. Leonardo hat ihm durch seine ausgeprägte Halspartie einen so genannten „Stiernacken“ verliehen. Matthias, wörtlich „Geschenk Gottes“, schaut nach rechts und zeigt mit den Armen nach links. Das ist typisch für „Zwillinge“ – während sie etwas mit den Händen tun, sind sie mit dem Kopf und ihren Gedanken schon ganz woanders. Außerdem sind sie neugierig, rastlos und viel unterwegs. Deshalb ist Matthias auch der Schutzpatron der Wallfahrten und wird oft mit einem Buch in der Hand dargestellt. Die Hände des Apostels Philippus sind dagegen nach innen gekehrt und deuten auf seine Brust. Damit ahmt er das Tierkreissymbol des Krebses nach. Innerlich ist er zutiefst getroffen und gibt dadurch seinen Gefühlen Ausdruck. Alles ist rund an ihm, das Gesicht, die Schultern, seine Gebärden.
Er ist ganz Seele und Gemüt. Im Zentrum gleich neben Jesus sitzt der Löwe „Jakobus“. Er gehört zu den erstberufenen Jüngern und hat damit eine ganz besondere Stellung. Nach der Himmelfahrt predigte er auf der Iberischen Halbinsel, die ebenfalls dem Tierkreiszeichen der Sonne untersteht. Er breitet die Arme weit aus und macht dabei eine wahrhaft königliche Gebärde. Damit legt er das Herz frei, das dem Tierkreiszeichen des Löwen zugeordnet wird. Neben ihm ist die Jungfrau (Thomas). Thomas ist der Apostel, der sich ausschließlich von der Vernunft leiten lässt. Er ist derjenige, der alles genau wissen will, damit er es richtig einordnen kann. Auf ihn geht die Bezeichnung „ungläubiger Thomas“ zurück. Denn er war es, der an der Auferstehung Jesu zunächst zweifelte, bis er selbst seine Wundmale sah und sie als einziger berühren durfte. Jesus sagte im 20. Kapitel des Johannesevangeliums zu ihm: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Aber auch beim „Letzten Abendmahl“ wird auf ihn Bezug genommen (Joh 14.4). Hier sagt Jesus nach der Ankündigung seines bevorstehenden Todes, dass er gehe, um für die Jünger einen Platz vorzubereiten, damit auch sie dort seien, wo er ist: „Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr.“ Da sagt Thomas zu Jesus: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“ Daraufhin sagt Jesus den berühmten Satz: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Johannes ist der „Lieblingsjünger von Jesus“ und Waage-Mensch. Er ist immer um Ausgleich bemüht und sitzt deshalb zwischen Jesus und Judas. Das Neue Testament berichtet, dass der aufbrausende „Donnersohn“ Johannes zum Apostel der Liebe wurde. Er hat also in sich selber die Gegensätze ausgeglichen und ist mit sich im Reinen. Johannes weiß, dass niemand ihn verdächtigen wird, Jesus zu verraten. Es genügt ihm, still und sanft dazusitzen und das unglaubliche Geschehen zu betrauern.
Fälschlicherweise wird er manchmal als Maria Magdalena gedeutet, also als Frau von Jesus. Weil er während des Wirkens Jesu noch sehr jung gewesen sein soll, wird Johannes in der Bildenden Kunst immer bartlos und dadurch etwas femininer als die anderen gezeichnet. Neben Johannes ist Judas, der Skorpion. Seine Haltung fällt besonders auf, weil er als einziger unbeweglich verharrt. Er scheint innerlich isoliert zu sein und bleibt zerrissen unter der Last seines Verrats zurück. Sein Blick ist starr und geht über das Haupt von Jesus hinweg. Platziert ist er zwischen dem aufbrausenden Petrus und dem sanften Johannes, wodurch sein undurchsichtiger Charakter erst recht hervorgehoben wird. Außerdem erkennt man ihn am Geldbeutel. Er war der Geldverwalter im Kreise der Jünger. „Das Geld der anderen“ hat auch immer mit dem Tierkreiszeichen des Skorpions, das das 8. Haus im Horoskop regiert, zu tun. Nach der Legende begeht der Skorpion in ausweglosen Situationen Selbstmord, ein Hinweis auf den Suizid des Judas und das Lebensthema der Skorpiongeborenen, nämlich „Macht – Ohnmacht“ und „höchste Höhen – tiefster Fall“. „Ihr seid das Salz der Erde“, hat Jesus in der Bergpredigt, Mt 5,13 zu seinen Jüngern gesagt. Vor Judas steht sogar ein kleines Salzfässchen, das er jedoch umgeworfen hat. Aus eigener Schuld gehört er nicht mehr dazu. Zwischen Judas und Johannes drängt sich der „Schütze Petrus“. Er gilt als temperamentvoll, seine Hand zeigt Aktion. Begierig will er erfahren, wer der Verräter sein soll. Damit steht er im Kontrast zu dem vergeistigten, sanften Johannes. Petrus symbolisiert den Schützen, der für „Glaube“ und „Religion“ steht. Kein Wunder war Petrus der erste Bischof von Rom und gilt als Schutzpatron der Päpste. Der Legende nach wurde Andreas an ein Kreuz mit einem schrägen Balken, dem so genannten „Andreaskreuz“, geschlagen. Er macht eine abwehrende Handbewegung als ob er sagen will: „Aber ich doch nicht!“ Damit grenzt er sich von den anderen ab, was typisch für den Steinbock ist. Jakobus, der Jüngere legt „ganz wassermännisch“ seine Hand auf die Schulter des Petrus und bringt damit seine Verbundenheit zu diesem Apostel zum Ausdruck. Die beiden gehören als enge Freunde zusammen und leiten später die christliche Gemeinde, als deren Säulen sie bezeichnet werden. Eine besondere Stellung nimmt Bartholomäus ein. Als Vertreter der Fische-Energie stützt sich als einziger so auf den Tisch, dass man seine Füße ganz besonders gut sehen kann. In der Astromedizin ist dieser Teil des Körpers, auch „Flossen“ genannt, der Sitz der Spiritualität. Noch heute wäscht der Papst seinen Kardinälen die Füße. Mit ozeanischem Weitblick schaut Bartholomäus auf das Geschehen und erkennt seine Dimension. Weil Leonardo Vegetarier war, gibt es nur Brot und Wein. Er war überzeugt, dass „…in allem Toten fühlloses Leben bleibt, das, sowie es die Mägen der Lebenden erreicht, wieder zu empfindlichem und geistigem Leben wird.“ Leonardo hat auf diesem hintergründigen Bild nicht Einzelmenschen gemalt, sondern die Menschheit als Ganzes. In jedem der Apostel charakterisierte er das ihm von Gott zugedachte Tierkreiszeichen und ordnete so dieses Geschehen in das große Abendmahl der Schöpfung ein. „Er selbst glich einem Menschen“, so Sigmund Freud, „der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen noch alle schliefen.“
Literatur:
Arnold Bittlinger: Das Geheimnis der christlichen Feste, Kösel-Verlag, München, 12,50 Euro.
Erich von Beckerath: Geheimsprache der Bilder, Ibera-Verlag, Wien, 29 Euro.
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